Einer jungen Mutter aus Aserbeidschan droht die Abschiebung, obwohl sie eine Ausbildungsstelle in NRW hätte. Nach heftigen Protesten gibt es für sie neue Hoffnung – und etwas mehr Zeit.
Bis Donnerstag will sich der Petitionsausschuss des Landtags noch einmal mit dem Fall der dreifachen Mutter beschäftigen. Solange ist die Abschiebung aufgeschoben und Sevine Muradi kann zu ihrer Familie nach Bad Berleburg-Aue zurückkehren. Frau Muradi werde noch am selben Tag aus der Sammelunterkunft entlassen und dürfe nach Hause, sagte Landrat Andreas Müller bei einer Pressekonferenz am Montagnachmittag. Sie bekomme auch die Möglichkeit, bei der Anhörung im Landtag teilzunehmen. Seit drei Jahren lebt Sevine Muradi mit ihrem Mann Elvin und den drei Kindern in dem kleinen Dorf. Am Freitag geriet plötzlich alles durcheinander. Die Familie wurde getrennt: Nach einem Besuch im Siegener Kreishaus kam die Mutter in Abschiebehaft.

Proteste nach Inhaftierung
Unterstützer der Familie, unter anderem ein örtlicher Verein, reagierten entsetzt. Denn die junge Frau hat in Aue Fuß gefasst. Sie engagiert sich in ihrem neuen Heimatort – und hat einen Ausbildungsplatz als Friseurin bekommen. Doch der Asylantrag der Familie war bereits 2019 abgelehnt worden. Schon zwei Mal hat der Petitionsausschuss des Landtags eine Duldung abgelehnt.

Integrationsminister Stamp will Fall prüfen lassen
Nun hat sich NRW-Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) eingeschaltet. „Es gibt die klare Vorgabe in NRW , Straftäter und Gefährder konsequent abzuschieben, nicht aber gut integrierte Azubis oder Arbeitnehmer„, schrieb der Politiker auf Twitter. Diese Linie habe er auch im Koalitionsvertrag im Bund durchgesetzt. Er habe angewiesen, den Fall von seinem Ministerium überprüfen zu lassen.Die Grünen beantragten eine ausführliche Aufarbeitung der Vorgänge im Kreistag. Die ehemalige Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli twitterte, sie hoffe, dass die politisch Verantwortlichen vor Ort einschreiten und die Familie nicht abgeschoben würde. Claus-Ulrich Prölß vom Flüchtlingsrat in Köln schaut ebenfalls kritisch auf das Handeln der Behörden. In dem Erlass zur Ausbildungs- und Beschäftigungsduldung stünde klar, dass erwartet wird, dass die Ausländerbehörden ihre Spielräume nutzen. „Und zwar zum Wohle der Menschen“, sagt Prölß. „Das ist wohl in diesem Fall nicht geschehen.“
Elvin Muradi schaut besorgt
Dorfverein setzt sich für Familie ein
Der Dorfverein Aue-Wingeshausen setzt sich schon seit Längerem für die Muradis ein. Insbesondere Helmut Keßler hat der Familie bei ihren ersten Schritten in Deutschland geholfen. Die Muradis seien „sehr zuvorkommende“ Menschen und würden sich im Dorf engagieren, sagt er. „Sie sind im Ort anerkannt und integriert.“ Dass Stamp sich nun eingeschaltet hat, findet Keßler gut. Auch er möchte, dass Gefährder abgeschoben werden – und Menschen wie die Muradis bleiben können. Keßler hatte Sevine Muradi am Freitag zum Kreishaus in Siegen begleitet. Die junge Frau hatte ihre Lehrstelle antreten wollen. „Da muss das Ausländeramt zustimmen. Daher haben wir um Ausbildungsduldung gebeten.“ Nach wenigen Minuten sei dann der Amtsleiter mit zwei Ordnungskräften gekommen. „Und hat gesagt, dass Frau Muradi jetzt abgeschoben wird.“ Sie sei in Tränen ausgebrochen.
Die Familie Muradi sitzt an ihrem Esstisch.Online-Petition gegen Abschiebung
Am Nachmittag sei der jungen Frau nach Keßlers Informationen mitgeteilt worden, dass sie in eine Sammelunterkunft kommt. „Sie konnte sich nicht von ihrem Mann und ihren Kindern verabschieden.“ Die Kinder im Alter von 2, 5 und 7 Jahren würden nach ihrer Mutter schreien. „Und Elvin ist fix und fertig mit den Nerven.“ Auch Vater Elvin durfte seine Ausbildungsstelle wegen des abgelehnten Asylantrags bislang nicht antreten. Der 30-Jährige hatte nach einem Praktikum eine Lehre als Krankenpfleger angeboten bekommen. Die „Abschiebebemühungen“ gegen den Familienvater zu stoppen, fordert auch eine Online-Petition mit dem Titel „Unsere Nachbarn bleiben hier„. Sie hat mittlerweile über 3.000 Unterstützer. Claus-Ulrich Prölß vom Flüchtlingsrat Köln fordert indes, dass auch die Politik in NRW handeln muss. „Minister Stamp muss noch mehr machen.“ Zwar seien im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung Erleichterungen für geduldete Menschen beschlossen worden – doch diese sind noch nicht umgesetzt. Daher müsse Stamp eine sogenannte Vorgriffsregelung treffen. Er solle „die Ausländerbehörden anweisen, die Personen, die davon profitieren würden, nicht abzuschieben„.

 

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